| Valentina Djordjevic on Mon, 1 May 2000 01:12:06 +0200 (CEST) |
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| Re: [rohrpost] Warum es zuwenig interessante Netzdichtung gibt - Neun Thesen |
Hallo Florian, hallo Liste,
auf die Gefahr hin, pingelig zu wirken, möchte ich auf ein paar Fehler in
einem ansonsten sehr interessanten (und für die Debatte nützlichen) Text
hinweisen.
At 19:53 29.04.00 +0200, you wrote:
>1 Das Internet ist ein literarisches Medium
>
> Das Internet ist das erste neue Massenmedium des zwanzigsten
> Jahrhunderts, das auf alphabetischen und numerischen Codes basiert,
> das heißt: auf Text. Nicht nur die Daten, die in ihm übertragen
> werden - E-Mail-Nachrichten, Web-Seiten und selbst Töne und Bilder -
> sind als Text codiert. Auch die Programme, die für diese
> Datenübertragung sorgen, sind Texte, die Computer mit
> Maschinenbefehlen ansteuern.
So elegant das auch im Sinne Deines Argumentes wäre, stimmt es leider so
nicht. Bestenfalls ist es eine Verallgemeinerung. Töne und Bilder sind im
Internet nicht als Text kodiert, sondern werden als Binärdaten
transportiert. Nur im Sonderfall Mailattachment werden Binärdaten als Text
codiert: UUencoded, gebinhext u.a. Das liegt aber ausschliesslich an der
Arbeitsweise der Mailserver und ist nicht zwingend so, sondern ein Relikt
aus alten Tagen und somit ein Sonderfall. In allen anderen Fällen sind
Bilder und Töne einfach nur Nullen und Einsen.
Auch Programme sind in der Regel Binärdaten, die zwar erst aus den
Sprachanweisungen der Programmiersprachen in binäre Maschinenanweisungen
übersetzt werden müssen, aber dann als Binärdaten verteilt werden. Es gibt
Skriptsprachen wie z.B. Perl oder Shellskripte unter UNIX, die tatsächlich
als Sprachanweisungen interpretiert werden, aber das ist nur eine der
beiden grossen Programmiersprachenfamilien (kompilierte und interpretierte
Sprachen).
>2 Netzdichtung sollte das Internet nicht nur als flüchtiges
>Aufschreibe-und Distributionssystem nutzen
So sehr Du recht hast mit der Beurteilung, dass der Begriff von
Netzliteratur zu weit gefasst wird, denke ich, dass Dein Begriff von
Netzdichtung ist zu eingeschränkt ist.
Damit fallen verschiedene interessante sprachliche Phänomene aus dem
Raster, die erst durch die Revolutionierung der Distribution im Internet
entstehen konnten, z.B. kollaborative Projekte wie Fan Fiction, die vor
allem in den USA Serienhelden aus Film und Fernsehen als Volksdichtung
wieder aufnehmen. (Aber dabei wären wir wahrscheinlich wieder bei der alten
Frage was Gebrauchsliteratur im Kanon der Literatur zu suchen hat. Ich oute
mich damit, der mich pro Gebrauchsliteraturgruppe zugehörig zu fühlen ;-).
Ansonsten ist die Kritik an dem, ich sag mal, Netzdichtung-Establishment,
mit ihrer schon seit Jahren anhaltenden Hypertexteuphorie schon längst
überfällig. Und das jemand endlich Perl Poetry als literarische Form
entdeckt hat, freut mich auch sehr.
Grüsse
vali
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